Wie erlangt man Wissen? Zuerst einmal durch Konzentration, durch genaues Schauen nach innen und das Erkennen dessen, was außerhalb der physischen Existenz liegt. Ein Mensch kann ein Gedicht, ein Wort, ein Bild oder eine Idee wahrnehmen, und für einen Moment lösen sich die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt auf, das ist der erste Schritt.
Das erscheint leicht, ist es aber nicht. Wenn man die Augen schließt und versucht, sich auf eine Sache zu konzentrieren, gehen einem Tausende von Dingen durch den Kopf. Auch unser Körper wird unruhig. Er sagt: „Dieses Bewusstsein schenkt mir nicht seine Aufmerksamkeit.“ Der Mensch wird nervös, dreht und wendet sich, um sich seines Körpers bewusst zu sein. Der Körper mag es nicht, wenn wir ihn ignorieren. Er ist wie ein Hund oder eine Katze, er will unsere ganze Aufmerksamkeit. Er reagiert mit Unruhe, will sich bewegen, sich kratzen, sich drehen, irgend etwas. Sobald wir versuchen, ihn zu disziplinieren, akzeptiert er dieses nicht.
Die nächste Stufe ist, sich anstelle der Gedanken die Gefühle bewusst zu machen, die wesentlich undeutlicher sind. Gedanken nehmen eine Form an, aber Gefühle haben keine Form, und daher ist es schwierig für den Geist, sie zu erfassen und sie sich anzuschauen. Wenn einem dies einmal gelingt, ohne dass der Körper in nervöse Unruhe verfällt und uns aufgeben lässt, fühlt man sich zweifellos erhoben.
Dies ist die Grenze menschlichen Vordringens – was darüber hinausgeht, ist göttliche Entfaltung. Was ist eigentlich göttliche Entfaltung? Geht man noch einen Schritt weiter, erreicht man einen Zustand des ruhigen Gewahrseins. Dies ist ein Zustand des Bewusstseins. Konzentration ist nicht mehr nötig, sondern was der Geist jetzt braucht, ist Meditation. Man tritt in Kontakt mit der Kraft, die in einem hörbar und sichtbar ist und die man bisher nicht bemerkt hat; die das bisher Unfassbare deutlich macht.
Hat man erst einmal Kontakt zu dieser Erfahrung, kann man im späteren Leben nie mehr sagen, dass es so etwas wie Zufall gibt. Dann wird man erkennen, dass alles, was passiert, vorausbestimmt und vorbereitet ist; man nimmt es schon wahr, bevor es sich auf der materiellen Ebene manifestiert.
Und gehen wir noch weiter, haben wir Bewusstsein in seinem Aspekt als reine Intelligenz. Man weiß und weiß doch nichts. Nichts zu wissen, bedeutet, alles zu wissen. Es ist das Wissen, das unsere Fähigkeit zu lernen blockiert. Mit anderen Wörtern, wenn ein Mensch in den Spiegel blickt, wird der Spiegel von unserem Bild verdeckt, und der Spiegel kann nichts anderes, als eben das zu reflektieren. Ist also das Bewusstsein im Wissen befangen, ist es in diesem Moment blockiert –oder, anders gesprochen, überlagert von etwas, dessen es sich bewusst ist. In dem Moment, wo wir uns vom Wissen befreien, ist der Geist klar, ist er reine Intelligenz. In diesem Zustand werden die Kraft unseres Geistes, seine Lebendigkeit, seine Anziehungskraft und Stärke, seine Kapazität offenbar, und er ist unbeschreiblich viel umfassender, als wir es uns vorstellen können. Dieser Zustand lässt sich nicht erklären, er kann jedoch durch Meditation erfahren werden. Geht man noch einen Schritt weiter, ist es nicht einmal mehr Bewusstheit, sondern es ist eine Art von Allgegenwärtigkeit, die Ausdruck innerer Vollkommenheit ist (aus Hazrat Inayat Khan: Mental Purification, deutsche Übersetzung: Heilung und geistige Reinheit).